Der verwunschene Fotograf
In Hamburg zieht ein kleiner Mann jeden Abend durch die Kneipen und bietet den Leuten an, sie mit einer alten Polaroidkamera zu fotografieren. Er sagt nicht viel außer: “Guten Abend. Foto?” Dazu macht er eine rückt-doch-mal-zusammen-Geste und lächelt. Lächelt bescheiden. Vorsichtig. Fast ein bisschen traurig.
Ich habe diesen Mann schon in so ziemlich allen Bars, Cafés und Kneipen in so ziemlich allen Vierteln und Ecken Hamburgs gesehen. Und immer geht er von Tisch zu Tisch, tut so, als würde er die Leute ein bisschen zusammenschieben und lächelt traurig. Manchmal formt er mit den Händen in der Luft den Rahmen eine gedachten Bildes. So, nein, so – ah, genau so, das wäre schön.
Auch wenn er dabei nichts sagt, nur lächelt, rücken die Menschen automatisch tatsächlich ein bisschen zusammen und lächeln zurück. Es ist ein bisschen so wie: Achtung, wir werden fotografiert. Lach mal!
Trotzdem habe ich noch nie gesehen, dass sich jemand tatsächlich von dem Mann fotografieren ließ. Alle schütteln nach dem gedachten Foto doch immer den Kopf. Nein. Kein Foto. Kein echtes. Danke sehr.
Immer und immer kommt er wieder. Egal wo. Schanze, St.Pauli, Innenstadt, Eimsbüttel. Irgendwann kommt er immer. “Guten Abend.” – “Danke, nein.” Nie will einer sein Foto.
Was wohl passieren würde, wenn das einmal anders wäre? Was wäre, wenn der sonderbare, kleine Mann mit der Polaroidkamera tatsächlich einmal den Auslöser drücken könnte?
Ob die Kamera wohl überhaupt funktioniert?
Vielleicht ist der sonderbare, kleine Mann mit dem vorsichtigen, traurigen Lächeln ja verwunschen. Verhext. Im Körper eines sonderbaren, kleinen Mannes – und dabei reichlich unerfolgreichen Polaroidfotografen – gefangen?
Und wenn er endlich einmal fotografieren dürfte, wenn es endlich einmal klick-Blitz-ssst machen würde, vielleicht wäre der sonderbar, kleine Mann dann plötzlich einfach verschwunden. Endlich frei.